04.11.2023
(Werdende) Mütter haben es nicht leicht, vor allem die nicht, die Vollzeit arbeiten müssen, u. U. selbstständig tätig sind – z. B. mit eigener Praxis – und ihre Pflicht zum Bereitschaftsdienst wahrnehmen müssen. Eine Problematik, die es vor allem in Deutschland gibt und scheinbar kaum zu beheben ist.
Mutterschutz und Selbstständigkeit passen hierzulande nicht zusammen
Niedergelassene Ärztinnen in Deutschland genießen, wie jede andere Selbstständige, keinen Mutterschutz und erhalten demnach kein Mutterschaftsgeld. Häufig stehen sie mitten im Beruf und das bis unmittelbar vor und nach der Geburt des Kindes, um die finanziellen Einbußen in Grenzen zu halten. Während angestellte Ärztinnen mit Bekanntwerden der Schwangerschaft in der Regel einem betrieblichen Beschäftigungsverbot bei voller Lohnfortzahlung unterliegen, ist das bei Selbstständigen nicht der Fall. Und aufgeben ist aus sozialen und finanziellen Gründen keine Option. Mütter dürfen nicht schutzlos sein: Nach der Petition 133680 der Tischlermeisterin Johanna Röh, die mittlerweile mehr als 1,1 Millionen Menschen unterzeichnet haben, entschied nun auch der Petitionsausschuss über eine Beschlussempfehlung an den deutschen Bundestag – Mutterschutz muss auch für Selbstständige gelten.
HINWEIS
Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) findet bislang auf Selbständige Schwangere keine Anwendung. Es gilt nur für angestellte Schwangere – im Gesundheitswesen bspw. schwangere Ärztinnen, die in Praxen, Krankenhäusern oder MVZ angestellt sind.
Auch wenn viele schwangere angestellte Ärztinnen ihre Schwangerschaft wegen des betrieblichen Beschäftigungsverbots verheimlichen, um länger arbeiten zu können, stehen sie unter dem Schutz des Gesetzgebers: sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung darf nicht gearbeitet werden. Gleichzeitig sind Schwangere, die aus gesundheitlichen Gründen in Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft früher in die Zwangspause müssen, abgesichert. Ein Luxus, den selbstständige Ärztinnen nicht haben, denn diese bekommen i. d. R. noch nicht einmal Mutterschaftsgeld – außer sie sind gesetzlich krankenversichert und die Versicherung beinhaltet einen Krankengeldanspruch.
Die Höhe des Mutterschaftsgeldes entspricht der Höhe des Krankengeldes, was wiederum 70 % des Arbeitseinkommens entspricht. Kein Mutterschaftsgeld von privaten KVen: Viele Niedergelassene sind in der privaten Krankenversicherung versichert, auch wenn die kein Mutterschaftsgeld zahlt. Wer hier eine Krankentagegeldversicherung abgeschlossen hat, erhält zumindest das vereinbarte Krankentagegeld und so den Verdienstausfall, der während der Schutzfrist nach § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG und am Tag der Entbindung entsteht.
Wichtig: Für die Zahlung der privaten KV muss die Police mindestens acht Monate vorher abgeschlossen worden sein, also im Bestfall vor Eintritt der Schwangerschaft. Für die Zahlung des Krankentagegelds gilt häufig eine Karenzzeit und eine Zahlung erfolgt erst nach 21 bis 42 Tagen.
Das Landgericht Ravensburg entschied aber in einem Fall, dass diese Praxis der Versicherungen unzulässig ist (Urteil vom 24.02.2022, Az. 1 S 117/21).
Elterngeld steht allen arbeitenden Eltern zu und wird auf Antrag sofort nach der Geburt gezahlt. Bisher wurde das Elterngeld bis zu einer Einkommensgrenze von 300.000 Euro für Paare und 250.000 Euro für Alleinerziehende gezahlt. Zukünftig soll die Einkommensgrenze allerdings gesenkt werden: auf 150.000 Euro zu versteuerndes Einkommen – egal ob alleinerziehend oder nicht. Diese neue Grenze wird auch für Ärztinnen relevant werden. Die Neuregelung soll ab dem 01. Januar 2024 gelten.
Für elf Bundesländern gibt es bereits die Möglichkeit, das Elterngeld über das Portal „Elterngeld Digital“ zu beantragen. www.elterngeld-digital.de
Mutterschaft nach europäischer Regelung:
2010 hatten sich die Mitgliedsstaaten der EU in einer EU-Richtlinie darauf geeinigt, dass auch selbstständigen Frauen Mutterschaftsleistungen zustehen müssen. So bestimmt Art. 8 der Richtlinie 2010/41/EU: „Die Mitgliedsstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass selbstständige Frauen sowie Ehepartnerinnen und Lebenspartnerinnen gemäß Artikel 2 im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht ausreichende Mutterschaftsleistungen erhalten können, die eine Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft während mindestens 14 Wochen ermöglichen.“
HINWEIS
2021 unterzeichnete Deutschland die Konvention Nr. 1839 aus dem Jahr 2000 der Internationalen Arbeitsorganisation, die einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen festlegt, inklusive einer Geldleistung von mindestens zwei Dritteln des bisherigen Einkommens. Umgesetzt wurde bislang allerdings nichts hiervon.
Petition 133680: Im Falle einer Krankschreibung in Zusammenhang mit der Schwangerschaft soll ab dem ersten Tag der Krankschreibung Krankentagegeld gezahlt werden. Zudem müsse es auf Grundlage der gezahlten Beiträge und nicht auf Grundlage des ausgefallenen Arbeitseinkommens berechnet werden. Gefordert wird ein vollbezahlter, gesetzlicher Mutterschutz auch für Selbstständige. Das Betriebsvermögen soll unangetastet bleiben. Die Situation in Bezug auf das Elterngeld soll bei Selbstständigen gesondert bewertet werden. Vorherige schwangerschaftsbedingte finanzielle Einbußen sollen abzugsfrei hinzuverdient werden können.
Mutterschutz für angestellte Ärztinnen oft unbefriedigend
Die Regelungen zum Mutterschutz sind zwar begründet, dennoch empfinden viele angestellte Ärztinnen diese als unbefriedigend – oft leidet die Karriere darunter. Eine Umfrage des Marburger Bunds und des Deutschen Ärztebunds mit ca. 4.800 Ärztinnen ergab, dass knapp die Hälfte der Befragten Bedenken haben, ihrem Chef die Schwangerschaft mitzuteilen. Schuld ist oft das Beschäftigungsverbot: Arbeitgeber dürfen ihre schwangeren Beschäftigten keinen gesundheitlichen Risiken aussetzen und sichern sich mit dem Beschäftigungsverbot juristisch ab. (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSCHG): Sobald Arbeitgeber von einer Schwangerschaft erfahren, müssen sie eine Gefährdungsbeurteilung etwaiger Risiken für Schwangere durchführen. Im Anschluss sind erforderliche Maßnahmen zum physischen und psychischen Schutz werdender Mütter zu treffen, die eine „unverantwortbare Gefährdung“ ausschließen (z. B. Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, physikalischen Einwirkungen oder belastender Arbeitsumgebung). Arbeitgeber müssen das MuSchG auf den Einzelfall anwenden – was zum Problem werden kann: Arbeitet die Schwangere weiter und es kommt zu einem Gesundheitsschaden, drohen Arbeitgebern horrende Schadenersatzansprüche. Es überrascht also nicht, dass man trotz Fachkräftemangel lieber auf schwangere Kolleginnen verzichtet.
Auf Seite der Arbeitnehmerinnen ist das gesetzliche Beschäftigungsverbot auch nicht immer willkommen:
die Weiterbildungsverordnung sieht eine bestimmte Menge an Erfahrung vor, bevor Ärztinnen ihren Facharzttitel erhalten. Eine Unterbrechung durch Schwangerschaft und Elternzeit wird nicht auf die Weiterbildungszeit angerechnet. Somit verlängert sich die Ausbildungszeit für Schwangere erheblich und die (unfreiwillige) Auszeit kann der Karriere extrem schaden.
Alleinerziehend & Bereitschaftsdienst?!
Vertragsärzte sind grundsätzlich zum Bereitschaftsdienst verpflichtet. Für Alleinerziehende kann diese Pflicht, mit insg. 68 Stunden (sieben Tage) pro Jahr, zur Herausforderung werden. Während des Mutterschutzes sind Ärztinnen vom Bereitschaftsdienst befreit, doch wie sieht es danach aus?
Eine Niedergelassene, dreifache alleinerziehende Mutter beantragte nach der Schutzzeit bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns eine weitere Befreiung vom Bereitschaftsdienst. Die Teilnahme – vor allem die nächtlichen Einsätze – kollidieren mit ihrer Aufsichtspflicht. Die KV lehnte den Antrag ab, so auch das Sozialgericht München, nachdem die Ärztin klagte: Nach der Bereitschaftsdienstordnung der KV Bayern können Ärzte nur aus nachweislich schwerwiegenden Gründen ganz, teilweise oder vorübergehend und zusätzlich befristet vom ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit werden. Dieser liegt i. d. R. nicht vor, wenn Antragsstellende unvermindert oder überdurchschnittlich innerhalb der Fachgruppe vertragsärztlich arbeiten (die Ärztin lag über dem Fachgruppendurchschnitt). KV und Gericht waren der Auffassung, dass sie demnach am Bereitschaftsdienst teilnehmen kann. Das Gericht begründete seine Entscheidung auch damit, dass die Dienste ca. ein Jahr im Voraus feststünden, somit planbar seien sowie Wunschdienste und eine Belegung innerhalb der Tageszeit möglich sind. Zudem können Dienste im Notfall auch an Pool- oder Vertretungsärzte delegiert werden. Die entsprechenden Nachweise der erforderlichen Bemühungen konnte die Ärztin nicht vorlegen.
HINWEIS
Pauschale Schilderungen als Begründung für eine Verlängerung der Befreiung vom Bereitschaftsdienst reichen nicht aus.
Wie ein korrekter und umfangreicher Nachweis in solchen Fällen auszusehen hat, lässt das Gericht offen. Alleinerziehenden Ärzten, die sich vom Bereitschaftsdienst befreien lassen wollen/müssen, ist zu raten, ihre fehlgeschlagenen Bemühungen, eine Kinderbetreuung für die entsprechende Zeit zu organisieren, genauestens zu dokumentieren und sich hier auch juristischen Rat einzuholen.
meditaxa Redaktion | Quelle zum Artikel „Alleinerziehend & Bereitschaftsdienst?!“: SG München, Urteil vom 04.05.2023, Az. S.38 KA 392/22